Als recording artist konnte ich in den letzten 20 Jahren hautnah miterleben, wie sich die Wahrnehmung von Musik in der Gesellschaft grundlegend gewandelt hat.
Soziale Netzwerke und Streaming-Plattformen transformierten Musik in einem sich stetig beschleunigenden Prozess zu einer jederzeit hochverfügbaren und spottbilligen Ware, von der es an jeder Ecke ein enormes Überangebot gibt.
Im Zuge dieser Entwicklung hat sich die Sichtweise der Konsumenten auf Musik als Kulturgut grundlegend verschoben. Immer mehr Menschen verlieren das Bewusstsein dafür, dass Musik nicht einfach „da ist“, sondern von anderen Menschen geschaffen wird – und zwar nicht von irgendwelchen unerreichbaren Fantasiegestalten, sondern von potentiell ganz normalen Menschen, mit Kreativität und Leidenschaft und Können.

Stattdessen ist Musik zur anonymen Lala verkommen, die aus irgendeiner Kiste herausquillt. Lala, die bei Influänzern oder Computerspielen im Hintergrund läuft, oder die von Spotify zur Verfügung gestellt wird.
Und noch besser: Man kann jetzt dank „KI“ ganz einfach selbst so eine Lala herstellen, ganz ohne irgendwas können zu müssen. Es braucht nur einen Prompt und ein bisschen Geduld. Ein toller Partygag. „Hey, schaut mal, hier, mein neuer Song, hab ich selbst gemacht! OMG, cringe, LOL!„
Mikey Shulman, seines Zeichens CEO von Suno, einer Firma, deren Produkt auf Knopfdruck Popsongs ausspuckt, behauptete letztes Jahr ohne mit der Wimper zu zucken, sein Produkt würde das Problem lösen, dass Musik zu machen ganz klar niemandem Spaß bereite – weil man dazu ja wissen müsse, wie man Musik macht, und das wollen die meisten Leute nicht.
Die Musik also einfach von der Maschine machen zu lassen hat ganz klar nur Vorteile. Und natürlich hat Spotify das auch schon gemerkt und spült den Menschen schön viel generische, „KI“-erzeugte Musik in die Playlisten, denn für solche muss Spotify keine Tantiemen bezahlen – und überhaupt stören Künstler eh nur beim Geldverdienen.
Ich habe, wie schon gesagt, diese Entwicklung am eigenen Leib miterlebt. Wo es einst noch möglich war, ein Publikum zu finden und Menschen für etwas Neues zu begeistern, so ist dies inzwischen so gut wie unmöglich geworden. Wer als Musiker im Jahr 2025 im Netz bestehen möchte, der muss die Algorithmen von Spotify, Youtube, Insta & Co. austricksen, sich auf social media schön flashy und laut zum Vollhorst machen, sich bei Influänzern anbiedern oder sich zu sonst irgendeinem dummen Scheiß zwingen, der mit Kunst und Kultur nicht das geringste zu tun hat.

Wer dieses grausame Spiel nicht mitspielen möchte, der muss darauf gefasst sein, dass die in langer und liebevoller Kleinarbeit und mit viel Herzblut aufgenommene neue Produktion im unerbittlichen Online-Krieg um Aufmerksamkeit sang- und klanglos untergeht. Im besten Fall gibt’s vorher noch schnell eine Handvoll (also 5) Likes, aber auch das ist nicht sicher. Sicher hingegen ist eine Portion Unverständnis und Ignoranz von Kollegen und Bekannten, denn Lala ist schließlich etwas, was die schönen Menschen aus den Klatschspalten machen – und auf keinen Fall irgend so ein Typ von nebenan.
Ja, ich weiss, es klingt an dieser Stelle so, als ob ich mir selbst leid tue. Ist vielleicht auch ein bisschen so – aber unendlich viel mehr tut mir jemand anders leid, nämlich ihr.
Ihr, das Publikum.
Denn ihr seid diejenigen, die am meisten verloren haben.
Nein, ich rede nicht von meiner Musik. So wichtig ist sie nun auch wieder nicht. Es geht um viel mehr.
Ihr wurdet der Chance beraubt, ein spannendes und einzigartiges Abenteuer zu erleben, in dessen Verlauf ihr nicht nur neue Musik sondern auch neue Seiten an euch selbst finden konntet.
Als ich jung war, da fand man neue Musik entweder im Radio oder auf Mixtapes von Freunden, oder weil sie im Lieblingsclub gespielt wurde.
Dann begab man sich auf die Reise in den örtlichen Plattenladen und versuchte dort, mehr über den Künstler herauszubekommen – man stöberte durch die Auslage, schaute sich an was es noch so gibt, eventuell konnte man auch mit dem Fachpersonal reden. Die eine seltene EP aus Übersee ordern. Schauen ob das eigentlich vergriffene Album in irgendeinem Second-Hand-Regal doch noch zu finden ist. Man musste Zeit investieren, Neugier mitbringen, manchmal auch Geld riskieren – und genau dadurch entstand eine Bindung. Musik war kein Nebenprodukt, kein algorithmischer Vorschlag, keine Lala aus der Black Box, sondern etwas, das man sich erarbeiten musste. Und gerade deshalb blieb sie.
Ich werde mich ewig daran erinnern, wie ich nach einer Englandreise stolz mit einer EP von Clock Dva zurück kam, die ich in einem kleinen Plattenladen in Camden aufgestöbert hatte, die in Deutschland nicht zu bekommen war, und die ich wie hypnotisiert wieder und wieder anhörte.
Oder wie ich Briefkontakt mit dem Management von O.rang aufnahm, um zu erfahren, wie ich an ihr Debütalbum rankommen könne.
Oder an jenen schicksalshaften Tag als ich in einem Plattenladen stand, durch die Sonderangebote stöberte und eine LP kaufte, nur weil mir das Cover so gut gefallen hatte – und dann von dieser einen LP auf eine Art und Weise verzaubert wurde, die bis heute anhält.
All diese Dinge sind verloren gegangen.
An ihre Stelle ist Gleichförmigkeit getreten.
Lala, die einen aus jeder Ecke anplärrt, und die exakt so lange dauert, wie es der Algorithmus fordert. Intros, die sofort alles verraten, weil niemand mehr zuhört, wenn nicht in den ersten drei Sekunden etwas „passiert“. Und die Macher dieser Lala, das sind vielleicht irgendwelche abstrakten, unerreichbaren Promis, deren Social Media manager euch auf Insta und TikTok das Leben der Schönen und Reichen vorlügen; vielleicht aber auch eine KI, die auf Kommando Lala ausspuckt, um die Ahnungslosen damit zu mästen und die Konzernbosse reich zu machen.
Das Abenteuer wurde durch Gewinnoptimierung ersetzt – und, was noch schlimmer ist, kaum jemand scheint das zu bemerken, kaum jemand versucht sich zu wehren.

Eine der großen Verheißungen des frühen WWW und des Aufkommens von Blogging und Self-Publishing im Netz war es, dass plötzlich Leute wie ich ein Publikum erreichen konnten.
Anfang dieses Jahrtausends bis in die 10er Jahre tummelten sich in der sogenannten Blogosphäre kreative Menschen aus allen Disziplinen und waren relativ problemlos in der Lage, sowohl Publikum als auch Gleichgesinnte zu finden.
Mark Zuckerberg und seine Faschisten-Freunde haben es in wenigen Jahren geschafft, das alles in Schutt und Asche zu legen – und sicher zu stellen, dass Algorithmen in einer gigantischen Gelddruckmaschine kontrollieren, was ihr zu lesen und zu hören bekommt.
Ich merke das nicht nur an den Zugriffszahlen auf mein Blog und auf meine Musik, ich merke es auch im täglichen Austausch mit Menschen, die vergessen haben, dass Musik Kultur ist, die es zu entdecken gilt – mit Menschen, die mehr und mehr verlernen, neugierig und offen zu sein. Die Welt ist eh schon voll und kompliziert genug, es ist viel wichtiger (und einfacher!) geworden, sich in der schönen bunten Welt der Werbetreibenden mal so richtig durchinfluänzen zu lassen – und Aussagen wie die Folgenden sind inzwischen normal:
„Schau mal da, ein lustiges Filmchen auf Insta! Kuck mal dort empört sich jemand auf Facebook! Das muss ich unbedingt teilen! Was hast Du? Ein Blog? Oh, äh, uh, ich weiss nicht, wie das funktioniert. Wo kann ich das sehen? Gibt’s da eine App für? Was soll das heissen, ‚einfach nur im Browser aufrufen?‘ Ääääh… Ich schau’s mir vielleicht später mal an. Bist Du denn nicht auf FB? Wie, was, Du machst Musik? Hihihi, also, in so einer Coverband? Was spielt ihr denn nach? Wie, Du machst eigene Sachen? Achso mit KI, richtig? Ach, was, nicht mit KI? Du schreibst Deine Songs selbst? Öööhm… äähh… ich… sorry… ich muss gehen… ich hör später vielleicht mal rein. Oh schau mal da, ein Artikel über katzenfressende Ausländer und was die Grünen uns alles verbieten wollen, das muss ich unbedingt mit meinen Freunden von den ‚Besorgten Bürgern‘ teilen!!11!“
Ich will ganz ehrlich sein: Ich habe nicht viele Hörer. Den meisten meiner Freunde und Bekannten ist es entweder egal oder nicht klar, dass ich Musik mache. Und von den immerhin 50-60 Leuten, die sich meine Alben noch immer online kaufen (die meisten davon erstaunlicherweise aus dem UK), gibt mir nur ganz selten jemand Feedback; tatsächlich kann ich es an einer Hand abzählen.

Soweit es mich betrifft, arbeite ich im Durchschnitt 10 Monate lang akribisch und intensiv und mit allem was ich habe und kann an einem neuen Album, auf das mich dann 4-5 Menschen ansprechen, bevor es wieder in der Versenkung verschwindet.
Ich habe also, wie man so schön sagt, nichts zu verlieren.
Warum sollte ich dann nicht versuchen, das Abenteuer wieder zu finden? Wenigstens im ganz kleinen Kreis?
Und genau das ist die Idee hinter „Strategies Against Algorithms“.
Den bequemen, optimierten Weg zu dieser Musik wird es nicht geben. Ich werde sie nicht den Algorithmen zum Frass vorwerfen, und ich werde sie nicht den KI-Bros zum Abgrasen zur Verfügung stellen.
Stattdessen möchte ich mir und meinen Hörern das Abenteuer zurück erobern. Ich möchte die Kreativität meines Publikums kennenlernen, ebenso wie das Publikum meine Kreativität kennen lernt. Ich möchte wissen, dass ich von Menschen gehört werde.
Wenn es jemand findet, wenn mich jemand findet, dann bitte organisch und persönlich und im Austausch.
Wer dieses Album erfahren will, muss sich auf eine Reise begeben und kreativ sein. Und mir ist es ehrlich gesagt auch egal, wenn das zum Schluss nur 5 Leute sein werden, denn an diesem Punkt bin ich im Prinzip jetzt schon
Und eines weiss ich genau – für diese 5 Menschen und für mich wird sich das Abenteuer dieses Mal auf jeden Fall lohnen.

